Tag 8, 2. März 2019: Honnigsvag – Saariselkä (Finnland)

Gefahrene Kilometer: 482
Fahrzeit: 13 Stunden
Landesgrenzen: eine
Temperatur am Zielort: -25° C

Achter Tag – Halbzeit! Ab heute geht es schon wieder Richtung Süden. Aber erst einmal machen wir das Nordkap unsicher! Dazu treffen wir uns um Punkt 9 Uhr morgens mit den anderen Teams etwa 25 Kilometer außerhalb von Honnigsvag an der letzten frei passierbaren Kreuzung. Ab dort kann man die letzten 14 Kilometer zum Nordkap nur noch mit Safety Car zurücklegen: In zwei Kolonnen aufgeteilt, lassen wir uns von einem Schneepflug mitten durch schier endlose weiße Schneewüste geleiten. Dabei geht es teilweise steil bergauf. Wie ein riesiger Lindwurm schlängelt sich die Rallye-Kolonne durch die Prärie, umgeben von nichts als Schnee, Schnee und nochmal Schnee. Dazu diese diffus-mystische Lichtstimmung als Kombination aus Nebel, Wolken und Sonne. So in etwa stellt man sich das Ende der Welt vor. Hätten Kopernikus und Galilei nicht vor hunderten von Jahren mit der Erdscheibentheorie aufgeräumt, wir würden uns wohl in ständiger Angst wähnen, nach der nächsten Kuppe über die Scheibenkante zu purzeln.


Doch statt zu fallen, stehen wir wenige Minuten später quicklebendig mit unseren Autos vor einem kleinen beschrankten Kassenhäuschen, von dem aus eine einladend lächelnde Dame uns ohne Skrupel pro Auto 57 Euro von der Kreditkarte bucht. Ganz schön happig, denken wir uns, und die mystische Stimmung ist auf einmal wie verflogen: Auch am Ende der Welt geht es ziemlich irdisch zu…
Da wir aber nun schonmal da sind, parken wir fix unsere Autos, passieren ein Gebäude, das Museum, Cafeteria, Souvenirshop und Kino beherbergt, und marschieren dann geradewegs auf die Klippe zu, auf der der berühmte Nordkap-Globus thront. Auf dem weiten Meer liefern sich Sonne, Wind und Schneewolken ein erbittertes Duell um die Vorherrschaft am Himmel – mit teils spektakulär schönen Begleiterscheinungen. Zum Glück für uns behält vorerst die Sonne die Überhand, und so können wir unser obligatorisches Teamfoto ohne große Eile und mit trockenen Häuptern aufnehmen – selbstverständlich haben wir im Geiste auch Valentina dabei und halten stolz ihr Logo in die Kamera. Das hatten wir ihren Eltern in Hamburg beim Start versprochen – Ehrensache, dass wir unser Versprechen auch halten!
Neben dem zentralen Aspekt, dass das Nordkap eben das Nordkap ist, gibt es hier aber nicht über die Maßen viel zu sehen. Zumindest wenig, das man nicht auch auf einer anderen Klippe hätte erblicken können. Die für 57 Euro erkaufte Aussicht auf den Atlantik dünkt uns jedenfalls wenig individuell. Aber man muss eben schon einmal im Leben hier gewesen sein…


Um 11.30 bringt uns der Schneepflug wieder im Großkonvoi zum Checkpoint zurück und wir fahren zusammen mit den anderen Teams nach Honnigsvag zurück. Dort stocken wir im Rema 1000-Supermarkt unsere Essensvorräte auf und schlagen dann – während es wie aus dem Nichts heftigst zu Schneien anfängt – wie geplant über die E69 den Kurs nach Süden ein.


Unterwegs einmal mehr höchst diffizile Sichtverhältnisse: Wir fahren durch undurchdringlich weiße Wände, im Blindflug an den Heckleuchten des Vordermannes klebend, ohne zu wissen, wo rechts die Straße endet und der Tiefschnee beginnt. Weiß in Weiß tut sich Meter für Meter vor uns auf – da kommen einem 80 km/h plötzlich ziemlich schnell und todesmutig vor.
Dann aber setzt sich mit einem Schlag erneut die Sonne durch und legt ein letztes Mal den Blick frei auf die eisblauen norwegischen Fjorde, rot und weiß bemalte Fischerhütten und schneebedeckte Felsküsten. Die Eisflocken, die an den flachen, ufernahen Stellen auf dem Wasser schwimmen, zeigen deutlich an, dass wir nun bereits in kälteren Gefilden unterwegs sind. Als wir wenig später von der Küste ins Landesinnere abbiegen, können wir unserer Temperaturanzeige im Minutentakt beim Fallen zusehen. Hier kommt der Golfstrom selbst mit seinen feinsten Ausläufern nicht mehr zum Tragen – hier regiert Väterchen Frost! Beim finalen Norwegen-Tankstopp in Karasjok meldet die Anzeige bereits minus 23 Grad, und als wir schließlich wenig später die Grenze nach Finnland überschreiten, werden daraus sehr schnell minus 27 Grad. In den Tälern erreichen wir sogar zwischenzeitlich Spitzenwerte von bis zu minus 32 Grad, bevor sich die Temperatur in unserer Zielregion Inari allmählich bei knackigen minus 25 Grad Celsius einpendelt. Selbst im Auto kühlt das Klima merklich ab, und jeder kurze Aufenthalt im Freien wird schnell mit Schmerzen an sämtlichen nicht bedeckten Gliedern belohnt. Als wir auf halbem Weg – noch bei Tag – in vereinter Kraft mit anderen Rallye-Teams einen holländischen Landrover aus dem Tiefschnee gegraben und zurück auf die Straße geschoben haben, haben wir mit den Tücken der Kälte bereits ausgiebig Bekanntschaft gemacht. Aber genau so wollten wir es ja haben – darum sind wir im Winter in den Norden gefahren, und nicht im Sommer.


Das Gute an diesen Frostbeulen-Temperaturen: Es ist selbst den Wolken zu kalt, und die Luft ist angenehm trocken und klar. Über der Weite von Finnisch-Lappland spannt sich bei Anbruch der Dunkelheit ein gigantischer Sternenhimmel auf. Und über den endlos scheinenden, schneebedeckten Nadelwäldern erleuchtet nun wieder die Aurora Borealis die Nacht, und begleitet uns mit ihrem anmutig grünen Schein die letzten Kilometer bis zu unserem Zielort Saariselkä. Hier haben wir eine wundervoll-urige Blockhütte gemietet – mit eigener Sauna! Leider ist es dank Zeitverschiebung bei unserer Ankunft schon nach 22 Uhr und die Sauna bereits in der Nachtruhe – aber so einfach lassen wir uns nicht abspeisen! Ein kurzer Einsatz des Akkuschraubers und die hinter einer Plexiglasplatte versteckte Zeitschaltuhr ist urplötzlich genau wie wir der Ansicht, dass so eine Sauna-Zusatznachtschicht niemandem wehtut. Am Wenigsten uns: Wie gut doch diese Hitze tut!
Für den Moment völlig entspannt (und ziemlich verzaubert vom nun mindestens doppelt so stark wirkenden Gerstensaft) gehen wir kurz nach Mitternacht ins Bett. Gerne würden wir noch länger in Finnland bleiben, aber morgen schon brechen wir nach Russland auf. Davor jedoch wollen wir die Gegend um Saariselkä noch ein wenig auf einem vor Ort höchst beliebten Verkehrsmittel erkunden.

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