Tag 15, 9. März 2019: Kaliningrad – Prenzlau (Deutschland)

Gefahrene Kilometer: 543
Fahrzeit: 14 Stunden
Landesgrenzen: zwei
Temperatur am Zielort: +5 °C

Ganz so direkt wie geplant brechen wir die Zelte in Kaliningrad doch nicht ab. Nach einem ausgiebigen Frühstück im Hotel, das uns die charmante Servicekraft mit ihrem freundlichen Lächeln zusätzlich versüßt, wollen wir unsere Autos aus der Tiefgarage holen. Das gestaltet sich aber nicht so einfach: Als wir unsere Tickets beim Automaten entwerten lassen wollen, tritt plötzlich ein junger Russe mit Milchbubengesicht an uns heran und bedeutet uns in einer Mischung aus schlechtem Englisch und Zeichensprache, dass wir doch bitte bei ihm am Wärterhäuschen vor der Ausfahrt bezahlen sollen. Na gut, denken wir uns – kann ja nicht viel aufwändiger sein.
Oh doch – kann es! Schließlich sind wir in Russland. In schneckengleichem Tempo nimmt der junge Mann Ticket um Ticket an sich, tippt dreimal wie wild auf seinem Smartphone herum und hält dann nacheinander jedem von uns das Handy-Display mit dem für die Parkkosten fälligen Betrag entgegen. Soweit, so umständlich. Was aber noch dazu kommt: Der Mensch will nur Bares sehen – Kartenzahlung geht nicht. Augenrollend kratzen wir alle unsere letzten Rubel zusammen – es reicht geradeso, dass wir damit alle das Parkhaus verlassen dürfen. Schwein gehabt!


Doch die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende. Denn anstatt uns die Schtranke zu öffnen, verschwindet der Russe einfach aus seinem Kabuff – und lässt uns etwas bedröppelt vor der geschlossenen Ausfahrt stehen. Was soll denn das jetzt?
Als hätte er unsere Konfusion über das Geschehen im Nacken gespürt, tritt er Sekunden später wieder in Erscheinung – nur um dann, mit dem Hinweis „wait five minutes“, aufs Neue abzutauchen. Tatsächlich vergehen gute fünf Minuten, bis wir endlich die entwerteten Tickets in die Hand gedrückt bekommen. Wir laufen ums Eck zu den Autos, fahren vor – und treffen abermals den Milchbubi-Russen, der nun direkt vor der Schranke steht, sich von jedem Schwabenstahl-Gespann die Parkkarte in die Hand drücken lässt und sie dann eigenhändig in den Schlitz an der Schranke steckt, der keine Armlänge von unseren Seitenfenstern entfernt auf Futter wartet. Das hätten wir gerade noch selbst hinbekommen. Aber kurz darauf sind wir endlich draußen – Gottseidank!
Das nächste Erlebnis folgt jedoch auf dem Fuße. Beim Frühstück hatten wir beschlossen, in Kaliningrad spontan eine Kinderklinik anzufahren, um dort ein paar unserer im Auto lagernden, handgemachten Stoffbärchen abzugeben. Etwa 20 Minuten lang kurven wir daher kreuz und quer durch Kaliningrad. Mit jeder Abzweigung werden Straße und Häuser ärmlicher – am Ende stehen wir vor einem tristen gelben Betonklotz mit brauner Stahltür. Hinter diesen Mauern soll sich das Kinderkrankenhaus verbergen.
Aus dem Schwesternzimmer werden wir bereits neugierig beobachtet. Deshalb entscheiden wir uns, direkt übers Fenster Kontakt aufzunehmen. Natürlich spricht keine der drei Schwestern Englisch oder Deutsch, aber die Bärchen funktionieren als Türöffner auch ohne viele Worte. So stehen wir – drei Schwestern und sechs Rallye-Fahrer – wenig später auf der Schwelle vor geöffneter Eingangstür und versuchen uns gegenseitig zu erklären, was wir voneinander wollen. So richtig rund läuft das aber nicht. Erst als eine der Damen ihren Sohn anruft, der ein bisschen Deutsch und ein bisschen besser Englisch kann, lichtet sich die Verwirrung – und weicht verlegener Freude über die unverhofften Geschenke: „Super – spasiba, spasiba!“ Ein schnelles Foto hält den Moment fest, bevor wir endgültig Kaliningrad hinter uns lassen wollen.


Doch wir haben die Rechnung ohne unser Roadbook gemacht. Das scheint sich in der Stadt nämlich wohlzufühlen: Wir sind noch keine zwei Kilometer gefahren, da bemerken Marcel und ich plötzlich ein halblautes Flattern über uns, das offenbar vom Dachträger herrührt. Einen Wimpernschlag später knackt es im Bordfunk und Lars meldet sich aus dem hinter uns fahrenden Auto: „Hey, bei Eich flattert was, was könnt des – oh hoi, jetzt isch eier Roodbuk devo gfloge!“ Kacke, verdammte – das müssen wir beim letzten Stopp auf dem Dach liegen gelassen haben. Sofort fahren wir rechts ran und sprinten zurück, wo das verlustige Objekt friedlich inmitten einer Kreuzung an der Leitplanke lehnt. Kollektives Lachen – und dann endgültig raus und Richtung Grenze!


Dort angekommen, treffen wir abermals auf gut gelaunte russische Zollbeamte. Gestern bei der Einreise hatten die Grenzer schon unserer Tanja zum Weltfrauentag gratuliert (oder es zumindest versucht), nun huscht den meist jungen Staatsdienern beim Anblick unserer Wagen einmal mehr manches Lächeln über die Lippen. Vom bösen, fiesen KGB-Söldner fehlt auch an dieser Grenze jede Spur. Bis auf die bürokratischen Formalien können wir über die Damen und Herren an Russlands Eingangspforten nichts Negatives sagen. Nur um das mal öffentlich festzuhalten!


Dafür hängen wir danach anderthalb Stunden vor der polnischen Grenze fest – aber schließlich kommen wir auch dort ohne große Probleme durch.
Nun geht es schnell weiter Richtung Westen durchs Land der alten Deutschordensschlösser. Auf charmant holprigen polnischen Landstraßen passieren wir zunächst Frauenburg, später Marienburg, bevor wir bereits im Dunkeln 30 Kilometer vor Stettin zum Abendessen einkehren. Hier gibt es – nach einem kleinen Navigationsfehler, der uns 20 Minuten durch finsterste Waldwege schickt – ein letztes Mal Borschtsch und Piroggen. Danach biegen wir in Stettin auf die Autobahn ein, die wir erst hinter der deutschen Grenze kurz vor Prenzlau wieder verlassen. Hier suchen wir uns ein idyllisches Plätzchen am See zum Übernachten.

Unter einem fantastischen Sternenhimmel verbringen wir die letzte Nacht unserer Tour stilecht in den Autos. Morgen Früh geht es zum Zieleinlauf nach Hamburg – ob wir die Ziellinie allerdings vollzählig überqueren, müssen wir spontan entscheiden: Der XC70 von Barney und Stefan gibt seit längerer Zeit fiese Geräusche von sich und scheint buchstäblich auf dem letzten Loch zu pfeifen – gut möglich, dass dieser Teil des Teams morgen zur Sicherheit den direkten Heimweg antritt.

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