Tag 16, 10. März 2019: Zieleinlauf Hamburg und Epilog

Gefahrene Kilometer: 1184
Fahrzeit: 3,5 + 11 Stunden
Landesgrenzen: keine
Temperatur am Zielort: +5 °C (Hamburg)

Manchmal hat ein Tag nur zehn Sekunden…
Es ist vollbracht. Wir sind wieder zu Hause. Alle wohlauf, bis auf eine große Portion Fernweh fehlt uns nichts. Zwei grandiose Wochen liegen hinter uns. Zwei Wochen, die so schnell vergingen und doch so vor Erlebtem überquellen, dass es sicher eine Zeit lang dauern wird, bis wir unsere Gedanken und Emotionen in geordnete Bahnen einsortieren können. Zumindest mir geht es so. Und ehrlich gesagt fällt es mir heute zum ersten Mal wirklich schwer, die richtigen Worte zu finden. Doch die Geschichte unseres großen Nordkap-Abenteuers wäre nicht zu Ende erzählt ohne die finale Marathon-Etappe des gestrigen Sonntags, die uns von Prenzlau über Hamburg und anschließend weiter nach Hause geführt hat. Wobei – nicht alle von uns haben am Hamburger Fischmarkt die Ziellinie überquert. Doch der Reihe nach…


Nach einer letzten Autonacht am See und einem finalen gemeinsamen Frühstück im beschaulichen Prenzlau trennen sich teilweise unsere Wege: Barney und Stefan ziehen es vor, ihren offensichtlich dem Knockout entgegen taumelnden XC70 auf dem schnellsten Weg in Richtung Heimat zu bugsieren. Bis kurz vor Jena geht das Unterfangen gut, dann quittiert, nach über 9000 Kilometern wilder Fahrt durch Nordeuropa, das kackbraune Sorgenkind unserer Flotte unter erbärmlichem Rattern, Klappern und Kreischen doch noch seinen Dienst. 500 Kilometer vor dem rettenden Zuhause ist plötzlich Sense – die Kardanwelle ist endgültig hinüber, das geklebte Winkelgetriebe Schrott und mehr als 5 km/h damit nicht mehr drin. Zu allem Überfluss macht auch noch einer der Reifen schlapp. Und so steht das abtrünnige Drittel unseres Teams nun irgendwo gestrandet in Ostthüringen, während wir Anderen kurz vor der Stadtgrenze Hamburgs nur aus der Ferne via WhatsApp mit unseren Freunden mitfiebern können. Guter Rat ist teuer, denn der zunächst kontaktierte ADAC will den fußlahmen Cross Country mangels Mitgliedschaft seines Halters nicht gratis von der Straße sammeln – und schon gar nicht bis nach Hause fahren.
Den beiden Gestrandeten bleibt somit nur eine Option: Not-OP. Direkt an der Autobahn. Mit Pannenspray flicken Barney und Stefan den löchrigen Reifen, bocken anschließend die Karre auf und bauen in nervtötender Fummelarbeit am Straßenrand die kaputte Welle aus. Derart kastriert, lässt sich die Fahrt mit dem Wagen tatsächlich fortsetzen – wenn auch nur mit Zweirad- statt mit Allradantrieb. Am Ende werden Barney, Stefan und ihr rollendes Sorgenkind trotz der ungeplanten Zwangspause die Ersten von uns sein, die in den Abendstunden die rettende Heimatscholle erreichen. Müde zwar, aber gleichzeitig erleichtert, dass sie es mit der klappernden Mühle letztlich doch ins Ziel geschafft haben.


Um kurz nach halb 1 mittags standen wir mit unseren Boliden auf dem Fischmarkt – noch vor den Rallye-Offiziellen. So blieb genug Zeit für ein entspanntes Mittagessen im Fischhaus Störtebeker, zusammen mit unseren Freunden von der Stiftung Valentina, die es sich – wie schon beim Start – nicht nehmen ließen, uns in Hamburg in Empfang zu nehmen.
Als gegen 16 Uhr nach und nach die anderen Teams eintrudeln, wir unser Roadbook komplettiert und der Jury übergeben haben und sich mit den ersten Regentropfen am Himmel bestes Hamburger Schietwetter andeutet, lassen es auch wir uns nicht nehmen, unter dem Applaus der (leider nicht so zahlreich wie erhofft erschienenen) Zuschauer die Rallye mit dem Durchfahren der mittlerweile aufgebauten Ziellinie offiziell zu komplettieren. Dann aber ist, es hilft alles nichts, endgültig die Zeit gekommen, „Tschüss“ zu sagen. Eine letzte Umarmung für „Maschine“ und die anderen Offiziellen vom Rallye-OK ein Abschiedshupen, Winken und Händeschütteln – und mit einem dicken Kloß im Hals bugsieren wir unsere treuen Gefährte unter dem stärker werdenden Regen durch den Hamburger Sonntagsverkehr auf die Autobahn. In knapp acht Stunden werden wir zu Hause sein – wenn es gut läuft.


Doch es läuft nicht gut. Überhaupt nicht. Wir haben unsere Milchmädchenrechnung nämlich ohne Sturmtief Eberhard gemacht. Das bringt uns die ersten beiden Fahrstunden wolkenbruchartige Niederschläge, um dann ab Göttingen mit Orkanböen vom Feinsten um sich zu werfen, die uns mehrfach fast von der Straße blasen. Zwar bleiben wir auch im stärksten Sturm standhaft, stecken aber kurz vor Kassel dann doch zweieinhalb Stunden windbedingt im Stau: Umgestürzte Bäume und abgerissene Schilder haben vorübergehend die A7 lahmgelegt. Nichts geht mehr – bis der Räumdienst endlich die auf die Fahrbahn gewehten Hindernisse entsorgt. Zwischenzeitlich werden wir von Eberhard mit Schnee beglückt, der den Temposchnitt unserer Heimreise zusätzlich nach unten korrigiert. Während sich den Rest der Fahrt immer wieder bedrohlich die Bäume vom Fahrbahnrand Richtung Autobahn neigen, schlucken unsere nicht gerade windschlüpfrigen Karossen stoisch Böe für Böe und kämpfen sich tapfer im Dunkel voran nach Süden.
Kurz vor Ulm dann der finale Team-Split: Lars und Tanja biegen in Richtung Schwäbische Alb ab, Marcel und ich visieren Augsburg an. Letzter Akt: Mit Rückenwind düsen wir mit unserer Ingeborg im Schnellspurt die A8 entlang, ich liefere in Augsburg Marcel bei Frau und Kind ab – und düste dann die A8 zurück nach Stuttgart, dieses Mal mit Gegenwind. Die letzten anderthalb Stunden ware also sind wir ganz für uns allein – Ingeborg, der Wind und ich. Ein komisches Gefühl, nach so vielen Kilometern gemeinsamer Fahrt, nach all den zusammen durchlebten Abenteuern plötzlich auf weiter Flur ohne Begleitung zu sein. Melancholie macht sich breit.
Um Punkt 3 Uhr morgens ziehe ich zum letzten Mal für diese Rallye Ingeborgs Zündschlüssel ab und öffne die Tür zu meiner Wohnung – nach 9511 Kilometern, die uns zusammen durch zehn Länder und Temperaturen bis -32 °C geführt haben. Endlich zu Hause. Die Familie wartet. Und ich freue mich auf den Frühling. Tief im Herzen allerdings werde ich sicher noch eine ganze Weile irgendwo durchs norwegische Gebirge fahren, auf den Lofoten feinsten schwedischen Surströmming genießen, in Estland mit Bier in der Sauna sitzen, staunend durchs verfrorene St. Petersburg stapfen und frierend aber überglücklich in den vom Nordlicht erleuchteten Himmel über Lappland starren. So viele Eindrücke. So viele Abenteuer. So unvergesslich. Eine Weile noch lasse ich im Bett liegend meine Gedanken kreisen, bevor mich schließlich gegen 4 Uhr endgültig der Schlaf übermannt. Das Schlimme an den schönen Dingen ist doch, dass sie immer so schnell vorbeigehen…

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