Tag 6, 28. Februar 2019: Liland/Lofoten – Irgendwo bei Storslett

Gefahrene Kilometer: 344
Fahrzeit: 11 Stunden
Landesgrenzen: keine
Temperatur am Zielort: -7° C

Über Nacht ist es plötzlich Winter geworden. Irgendwann, als wir schliefen, muss der Regen in Schnee übergegangen sein – jedenfalls präsentiert sich die Umgebung am Morgen in adrettem Weiß, und das Thermometer zeigt zum ersten Mal deutlich unter Null: knackige -5° Celsius haben unsere durchnässten Kühler-Elche steinhart gefroren, aber die trockene Luft, die die feuchte Kälte von gestern vertrieben hat, ist doch deutlich angenehmer zu ertragen. Auch die Wolken sind auf dem Rückzug, breite Streifen blauer Himmel und zartes Sonnenkitzeln deuten einen freundlichen Tag an. Endlich, genau so haben wir uns die Sache vorgestellt!


Die Route heute führt uns wieder weg von den Lofoten, an Narvik vorbei nach Nordosten. Ziel ist die Region Storslett – und da es ohnehin keinen anderen Weg dort hin gibt, nehmen wir die Hauptstraße E6. Klingt nicht spannend, hat es aber in sich: vereist und zugeschneit, fordert die kurvige Straße volle Aufmerksamkeit, denn links und rechts der Fahrbahn türmen sich meterhoch die Schneemassen. Tonnenweise Splitt halten den Rutschfaktor in Grenzen, aber dort, wo der Schneepflug noch nicht war, merkt man den Winter deutlich. Die Norwegen hält das nicht ab, trotzdem mit 90 Sachen durch die Prärie zu heizen, und da wir dagegen nicht wie die Schnecken vom Dienst abstinken möchten, passen wir uns dem Wikinger-Fahrstil einfach an. Geht erstaunlich gut – selbst mit dem Fronttriebler. Man muss nur Abstand halten, weil man ansonsten entweder vom aufgeschleuderten Rollsplitt erschlagen wird oder in der Schneewolke des Vordermanns erstickt.


Und vor allem Letzteres wäre heute wirklich jammerschade. Denn die E6 schlängelt sich nordöstlich mitten durchs Gebirge, vorbei an schneebedeckten Fjorden, küsst mehrfach das Meer und führt wieder ins Hinterland – und wir bekommen beim Fahren den Mund kaum zu vor lauter Staunen: Verschneite Berggipfel strahlen im Sonnenlicht wie Leuchtfeuer, im Wasser glitzern die Eisschollen, am Horizont schimmert türkisblau das Meer. Ich wusste ja, dass Norwegen ein tolles Land ist, aber die Eindrücke, die hier im Minutentakt von draußen auf uns hereinprasseln, machen selbst mich sprachlos. Hinter jeder Kehre wartet ein noch schönerer Gipfel, ein noch atemberaubenderer Fjord, eine noch berauschendere Bucht. Wirklich: un-fass-bar schön.


Auf halbem Weg essen wir im Restaurant Rentier-Ragout mit Preiselbeeren zum Mittag, arbeiten uns dann weiter nach vorn und schauen wenige Stunden später beim Pausemachen am Strand andächtig dabei zu, wie die herabsinkende Abendsonne alles um uns herum in ihr unnachahmliches Leuchten taucht. Wir können uns kaum sattsehen, so machtvoll hält uns der Zauber dieser Szenerie im Bann, der auch dann noch lange nachwirkt, als die Sonne längst hinter den verschneiten Fjorden im Meer verschwunden ist.


Doch dann beginnt für uns das nächste Kapitel: Pünktlich mit Einbruch der Dunkelheit erreichen wir Storslett und stärken uns dort im Supermarkt für den heraufziehenden Abend. Schon gestern Nacht haben wir – vergeblich – auf Polarlichter gehofft, heute wollen wir endlich welche sehen. Die Vorhersagen prophezeien hohe Sonnenaktivität und nur teilweise bewölkten Himmel. Die Chancen stehen also gut. Wir sind zuversichtlich – heute muss es klappen!
Wir entschließen uns, mit Sack und Pack ein wenig ins Hinterland zu fahren und uns dort einen brauchbaren Standort zum Beobachten zu suchen. Weg von der Küste, an der sich jetzt wieder die Wolken eingenistet haben. 20 Minuten später parkieren wir unsere Volvos auf einem kleinen Rastplatz direkt an der Straße. Das Thermometer zeigt minus 7 Grad. Wird eine kalte Angelegenheit. Ob es sich lohnen wird?


Oh ja. Und wie es sich lohnt! Wir haben kaum die Autos verlassen und uns eine weitere Isolierschicht Klamotten übergestreift, da erblickt Marcel aus seinen Augenwinkeln auch schon ein kurzes grünes Flackern über uns. Dann geht alles Schlag auf Schlag. Mit einem Mal ist der gesamte Himmel mit Polarlicht übersät. Es flackert und flimmert an allen Orten, wird schwächer, um dann wieder von Neuem aufzuflammen, wandert nach links, zuckt dann plötzlich wieder nach rechts und scheint schließlich wie Meteoritenschauer vom Himmel herabzuregnen. Wow – was für eine Vorstellung! Wir sind geplättet. Alle sechs. Und zwar nachhaltig. Ich glaube, keiner von uns hat je etwas so Schönes gesehen. Oder, um es mit einem Zitat von Tanja auf den Punkt zu bringen: „Polarlichter. Endlich. Selbst das schönste unter Google zu findende Foto kann nur im Ansatz wiedergeben, was dieses Naturschauspiel zu bieten hat. Anmutig tanzende Lichter, die von grün zu rot und wieder zu rgün wechseln. Ich bin ja echt kein großer Romantiker, aber dieses Schauspiel rührt sogar mich fast zu Tränen – aber nur fast!“


Noch lange sitzen wir an diesem Abend draußen auf unseren Campingstühlen in der Kälte, starren schweigend in den Himmel – und grillen unter dem Tanz der Nordlichter unsere Würstchen. Dann schlüpfen wir um Mitternacht in die vorgewärmten Autos – und versuchen, das Erlebte von heute in unseren Köpfen zu ordnen. So viele Eindrücke. So viel gesehen. Was für ein genialer Tag!

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