Tag 4, 26. Februar 2019: Vilhelmina – Inhavnet (Norwegen)

Gefahrene Kilometer: 723
Fahrzeit: 16 Stunden
Landesgrenzen: 1
Temperatur am Zielort: 5° C

Mit einem lautstarken „Good morning, Volvo neighbours“ werden wir am Dienstagmorgen vom dritten Stock des Hotels begrüßt – einer der holländischen Rallye-Teilnehmer hat uns beim morgendlichen Blick aus seinem Fenster erspäht. Derweil sind wir schon drauf und dran, uns auf den heutigen Tag vorzubereiten, der uns plangemäß von Vilhelmina ins norwegische Bodo bringen soll. Dort haben wir vor, die Nachtfähre auf die Lofoten zu nehmen – wie die meisten anderen im Feld auch. Wir sind uns im Klaren, dass uns damit ein langer Tag bevor steht: Bodo liegt weit im Norden – und die Straßenverhältnisse sollen gelinde gesagt nicht die Besten sein. Dass das alles nur die halbe Wahrheit ist und wir noch sehr viel länger unterwegs sein werden als gedacht, können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

Im Moment haben wir sowieso anderes im Sinn: Für heute hat das Rallye-OK auf einem zugefrorenen See bei Vilhelmina nämlich ein offizielles „Ice Race“ angesetzt – und das wollen wir uns nicht entgehen lassen. Wann hat man schon mal eine solche Gelegenheit? Also beenden wir rasch unsere Morgenroutine, damit wir drüben auf dem See mit unseren Boliden Gas geben können.
Dieser See ist tatsächlich schnell gefunden (und auch tatsächlich zugefroren), wir rollen direkt auf die Eisfläche, lassen uns einweisen – und merken sofort: Mit Kufen – oder wenigstens mit Spikes – wären wir hier besser bedient. Es ist, ohne Übertreibung, absolut arschglatt. Deshalb steigen wir auch gar nicht erst aus, sondern bleiben lieber im Auto sitzen und geben direkt Gummi.

Ich bin als erster an der Reihe. Sachte lasse ich unsere „Ingeborg“ zur Einfahrt in den Ice Track gleiten, der sich als kurviger Rundkurs durch den Schnee schlängelt. Dann geht’s los. Anfahren im zweiten Gang, schnell rauf in den dritten und langsam ans Limit tasten. Mein Eindruck auf den ersten Metern: überraschend viel Grip – mehr als gedacht. Also etwas mehr Gas, die Tachonadel nähert sich der 50, Kurve außen ansetzen, einlenken und – hey, einlenken! Sofort!
Nein, nichts zu machen – Ingeborg verweigert stur meinen Lenk- und jeden anderen Befehl. Und so kommt es, wie es kommen muss: Krachend schlagen wir links außen in die Schneewand. War wohl doch nicht so griffig wie erhofft, das Eis… Zum Glück ist nichts kaputt, aber Ingeborg steckt mit der Nase so tief im Schnee, dass wir es aus eigener Kraft nicht mehr raus schaffen. Gut, dass zwei Holländer im Landrover unseren Abflug aus nächster Nähe beobachtet haben und uns – an unserem eigenen Abschleppseil – unbürokratisch aus dem Schlamassel ziehen. Ging ja schon mal gut los – ab jetzt lasse ich es langsamer angehen. Wir fangen noch einmal ganz von vorne an…


Mein Abflug bleibt aber bei Weitem nicht der Letzte. Ständig dreht irgendwer irgendwo auf dem Eis Pirhouetten, und nicht jeder schafft es, sich aus eigener Kraft aus den Fängen der Schneeschikanen zu befreien. Unser Abschleppseil erlebt an diesem Tag noch drei weitere Einsätze: zweimal eilen wir damit anderen Autos zu Hilfe und ein weiteres Mal müssen wir uns zurück aufs Eis ziehen lassen, weil Marcel lieber querfeldein fährt, anstatt auf dem Eis zu bleiben – und prompt den halben Volvo im Eiswasser versenkt.
Trotzdem: Die Geschichte macht mächtig Spaß. Und so vernehmen die anderen Teammitglieder nur widerwillig Barneys Hinweis, auf die bereits fortgeschrittene Zeit, die uns dazu nötigt, die Eisspiele gegen Mittag zu verlassen, um endlich nach Bodo aufzubrechen. „Ja gleich, nur noch eine letzte Runde“, erwidern wir anderen fünf dem vermeintlichen „Spielverderber“ unisono, und ehe der sich versieht, tollen wir mit den Autos auch schon wieder auf dem Eis herum. Solange, bis der große Spaß mit einem Mal ein Loch hat: Nach einer beherzt per Handbremse provozierten 270-Grad-Pirhouertte würgt sich plötzlich Ingeborgs Motor ab. Zwar geht er – nach zwei erfolglosen Versuchen – wenig später wieder an, arbeitet allerdings nur noch im Notlauf, und macht auf diesen Umstand deutlich sichtbar mit brennender Motorkontroll-Leuchte aufmerksam.
Mist, verdammter! Was jetzt? Kurzer Sicht-Check: von außen nichts erkennbar. Mangels Fehler-Auslesegerät bugsieren wir unseren verwundeten V70 auf schnellstem Weg in die nächste Volvo-Werkstatt. Die heißt Bilbolaget, ist keine fünf Minuten entfernt, und verarztet mit dem XC70 des holländischen Teams 38 bereits einen weiteren Rallye-Invaliden. Hier scheinen wir also in guten Händen.
Der Fehler ist tatsächlich schnell gefunden – dank tatkräftiger Mithilfe von Lars: Ein Schlauch im Ansaugtrakt zieht Fremdluft durch ein Loch an einer Stelle, wo keins sein soll. Die Belastungen beim Eislaufen waren für das alte Plastik wohl einfach zu viel. Carolin, die blonde Volvo-Mechanikerin unseres Herzens, löst das Problem kurz und schmerzlos in Rallye-Manier: Der Schlauch wird einfach mit Isolierband geflickt. Als Dank schenken wir unserer neuen Freundin einen unserer Stoffbären, lassen sie und ihren Kollegen Martin Kanon als Glücksbringer auf Ingeborgs Motorhaube unterschreiben – und bezahlen für die schnelle Hilfe lediglich mit einer innigen Umarmung. Vielen Dank Euch Beiden – das werden wir Euch nicht vergessen!

Das soeben Erlebte im Herzen, verlassen wir Vilhelmina – wieder mal mit mächtig Verzug, dafür mit guten Gedanken – und nehmen endlich die E6 nach Bodo unter die Räder. Die entwickelt sich mit zunehmender Wegstrecke zu einer echten fahrerischen Herausforderung. Vereiste Fahrbahn, Spurrillen und Schneefall erschweren das Vorankommen. Kilometer für Kilometer bahnen wir unseren Weg, während unter uns drohend die Eisfelder scheppern – hier ist Konzentration gefragt!

Die norwegische Grenze nehmen wir im Flug – kurz darauf werden die Straßenverhältnisse besser. In Norwegen wird wohl mehr gesalzen als in Schweden. Wir erhöhen unser Tempo, halten in der ersten größeren Stadt Mor i Rana zum Abendessen (die Fischsuppe im No.3 kann echt was!), und gehen dann die letzten dreieinhalb Stunden bis Bodo an. Unterwegs geben sich erst Glatteis und Schnee ein Stelldichein, bevor die Temperatur mit einem Mal nach oben schießt und die Schneeflocken in wüst prasselnden Regen verwandelt. Staunend beobachten wir die Anzeige auf dem Armaturenbrett, die erst auf 6, dann auf 7 und schließlich bis auf 8 Grad Celsius ansteigt. In Nord-Norwegen – im Winter. Nachts!
Unser Ziel, den Fähranleger in Bodo, auf dem sich bereits zahlreiche andere Teams für die nächtliche Überfahrt auf die Lofoten eingerichtet haben, erreichen wir schließlich abgekämpft und müde gegen 22 Uhr. Wir wähnen uns schon im Feierabend, öffnen erleichtert das verdiente Bierchen, da weht der stürmisch aufbrausende Wind auch schon die nächste Hiobsbotschaft an unsere Ohren: Der Seegang ist zu stark, acht bis zehn Meter hohe Wellen – auf die Fähre heute Nacht können wir lange warten: der Fährverkehr ist eingestellt.

Ernüchtert blicken wir uns an: ernsthaft jetzt? Die nächste Fähre auf die Lofoten legt erst morgen um 15 Uhr ab, die Überfahrt dauert vier Stunden. Damit würden wir einen ganzen Tag verlieren. Aber auf die Lofoten komplett verzichten? Nie im Leben! Ein Plan B muss her!
Der ist nach ein paar Minuten auch tatsächlich gefasst: Weiter östlich, in Bognes, gibt es eine weitere Fährlinie, die vom Festland aus nach Lodingen verkehrt. Die läuft mehrmals täglich aus und soll auch morgen plangemäß fahren. Der Haken: Von Bodo bis Bognes sind es noch einmal zweieinhalb Stunden Fahrt. Aber so läuft es eben manchmal, wenn man eine Rallye fährt…
Wir nehmen die ungeplante Nachtschicht mit Humor, schärfen an der nächsten Tanke mit Red Bull und Hotdog auf und düsen dann raus aus der Stadt, in die stürmisch-feuchte Nacht.
50 Kilometer vor Bognes fällt für heute aber endgültig der letzte Vorhang: Bei Inhavnet steuern wir unsere Volvos todmüde von der Hauptstraße auf einen kleinen Parkplatz und beziehen im Windschatten eines abgestellten Lkw-Trailers unser Nachtlager. Den Rest erledigen wir morgen. Der Tag war wahrlich lang genug. Nur eine Frage quält uns vor dem wohlverdienten Schlaf: Hat sich die Ochesntour gelohnt? Werden wir es morgen wirklich auf die Lofoten schaffen?

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