Tag 2, 24. Februar 2019: Käseberga – Kullen (Schweden)

Gefahrene Kilometer: 720
Fahrzeit: 13 Stunden
Landesgrenzen: keine
Temperatur am Zielort: 1° C

Sacht klopfen frühmorgens die ersten Sonnenstrahlen von Osten her an unsere Fenster – die Sonne geht doch früher auf hier als gedacht. Das ist auch gut so, denn zum Schlafen sind wir nicht nach Schweden gefahren. Stattdessen wollen wir den heutigen Tag zünftig mit einem alten Wikinger-Ritual begrüßen. Die Anleitung dazu finden wir im Roadbook, das übrigens komplett in Englisch geschrieben ist: Man nehme einen Stein aus Dänemark (haben wir gestern unterwegs eingesackt), einen Ast, ein Stück schwedisches Metall (spendet die Volvo-Reiseapotheke) und binde alles mit einem „string“ zusammen. So steht es da geschrieben – und das nehmen wir wörtlich: gut, dass wir ein Mädel dabei haben! Bereitwillig opfert Tanja den nordischen Göttern eine ihrer Unterhosen, mit der wir unsere Utensilien wie einen Strauß zusammenbinden. Dann marschieren wir damit auf einen Hügel direkt am Meer in die Mitte des Steinkreises „Ales Stenar“. Den haben die Wikinger früher als Sonnenkalender genutzt, und noch heute grüßen die aufgestellten Steine, hoch oben über der Ostsee Tag für Tag den Himmelsstern. Abwechselnd drücken wir unser Bündel nun an die Brust, legen es dann in die Mitte, weihen es symbolisch mit einem Schluck Ostseewasser – und genießen dann für ein paar Minuten die stürmische Stille, die uns hier oben kalt umweht. Genau das Richtige, um wach zu werden!

Danach verlassen wir Käseberga (der Ort schreibt sich eigentlich mit einem ° auf dem a, aber das bekomme ich auf meiner Tastatur einfach nicht hin), winden uns die kleine Küstenstraße Richtung Norden hoch und biegen dann nach einem Tankstopp ins Landesinnere ab. Unser Ziel ist der Ort Ryd, in dessen Nähe laut Roadbook irgendwo ein alter Schrottplatz sein soll – mitten in einem Wald. Da Wälder in Schweden ja bekanntlich eine Rarität sind (Vorsicht, Ironie!), dürfte es ein Leichtes sein, sich genau dort hin zu navigieren. Aber erst einmal wollen wir Spaß haben…

Deshalb meiden wir wann immer es geht die schnurgeraden Landstraßen und toben uns auf den schmalen Querwegen aus, die sich wie Spinnennetze zwischen den Hauptverkehrsadern spannen. Mit ordentlich Speed preschen wir so durch schattig-schmale Waldlichtungen, an zugefrorenen Seen und Aussiedlerhöfen vorbei durchs schwedische Hinterland – und scheinen weit und breit die einzigen zu sein, die sich freiwillig für diese Art der Routenführung entscheiden. Umso besser für uns! Wer uns folgt, würde eh nur Staub und Schotter schlucken…
Kurz vor Ryd passieren wir die ersten Schneefelder auf unserer Tour, bevor wir die letzten Meter der Etappe gediegen auf der Landstraße zurücklegen. Jetzt aber ist guter Rat teuer – denn völlig überraschend gibt es hier überall Wald! Verdächtig aber scheint, dass sich in der Tracking-App (die übrigens nur sehr rudimentär tut, was sie soll – sorry dafür!) leicht außerhalb des Örtchens eine gewisse Rudelbildung abzeichnet. Zufall? Sicher nicht. Nix wie hin!

Tatsächlich stehen wir keine fünf Minuten später zusammen mit einer Handvoll anderer Teams auf einem unscheinbaren Waldparkplatz direkt an der Straße. Von hier aus geht es zu Fuß weiter – dank eisglatten Untergrunds eine recht rutschige Partie. Doch die rentiert sich: Schon auf den ersten Metern heißen uns die ersten alten Wrackteile willkommen, kurz darauf offenbart sich uns auf einer kleinen Lichtung die gesamte surreale Szenerie des Autofriedhofs „Kyrkö mosse“: reihenweise stehen hier die alten Autos rum, seit den 50er-Jahren, und unwiderruflich dem Verfall preisgegeben. Hier ein Häufchen Buckel-Volvo, dort ein verwelkter Käfer, dazwischen ein paar nicht mehr identifizierbare andere Blechleichen – und mittendrin die Hülle eines Mercedes-Busses. Der soll der Legende nach sogar 1974 als ABBA-Tourbus gedient haben. Ob das stimmt? Können wir nicht nachprüfen. Aber was auch immer der Bus sonst verbrochen hat, er hätte bestimmt ein rühmlicheres Ende verdient gehabt, als im Wald zu verrotten. Echt schade drum…

Trotzdem, die Kulisse fesselt. Natur siegt über Technik. Knapp 150 Autos haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Großteils hat der Wald sich sein Terrain schon wieder zurückgeholt oder ist gerade fleißig dabei. Den Rest erledigt die Zeit.
Apropos Zeit: Wir müssen schleunigst weiter! Als Tagesziel haben wir das Städtchen Ludvika auserkoren. Dort wartet in einer Hütte, die wir unterwegs gebucht haben, die erste Dusche auf uns. Aber sie wartet noch ein ganzes Weilchen: acht Stunden Fahrt trennen uns von der anvisierten Wellness-Oase.

Über holprige Nebenstraßen arbeiten wir uns voran, peitschen durch den Schneematsch und rutschen über Eisfelder, schauen der Sonne vom Cockpit aus beim Untergehen zu – und wechseln mit Einbruch der Dunkelheit auf die Fernstraße E50 zum Kilometerfressen. Als wir spätabends in Ludvika ankommen, erfahren wir bei nochmaligem Abgleich mit der Karte, dass wir noch knapp 30 Kilometer weiter ins Mini-Örtchen Kullen fahren müssen. Was tut man nicht alles für eine heiße Dusche…

Die letzten fünf Kilometer dorthin führen uns über komplett gefrorene Waldwege hinauf zu unserem Ziel. Zum ersten Mal können unsere Nokian-Winterreifen zeigen, was sie drauf haben. Dann stürmen wir einer nach dem anderen die Dusche, legen die Füße hoch, trinken Bier – und schmieden den Plan für den morgigen Tag. In nicht mal 24 Stunden wollen wir in Vilhelmina sein. Und unterwegs endlich mal einen Elch sehen. Möglichst jedoch nicht direkt vor unserer Stoßstange…

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